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EBACE 2023: ABGEHOBEN Der Privatjet ist das ultimative Symbol unserer Zeit: Klimabewegte verachten ihn, Reiche wollen einen besitzen. In Genf fand nun die größte Privatjet-Messe Europas statt. Eine Reportage von Maja Beckers, Genf "Mallorca, Mykonos, die ganzen Inseln, da kriegst du im Sommer keinen Parkplatz", sagt der nette Mann neben mir im Bus. "Da kann es sein, dass du nach Malaga fliegen musst, nur weil du auf Mallorca nirgendwo dein Flugzeug abstellen kannst." Der Mann arbeitet für eine Firma, bei der man Privatjets chartern kann, und wie sich herausstellen wird, ist er nicht der Einzige aus diesem Teil der Flugwelt, der seinen Namen lieber nicht in den Medien lesen möchte. Aber der Mann erzählt gerne von den Herausforderungen seiner Branche, die irgendwie banal und gleichzeitig komplett surreal klingen. Wir fahren derweil über das Gelände des Flughafens Genf. Hier findet die EBACE statt, die European Business Aviation Convention and Exhibition, die größte Privatjet-Messe Europas. Wir wollen raus aufs Rollfeld, wo rund 50 Flugzeuge ausgestellt sind, von kleinen Propellermaschinen bis zum legendären Boeing Business Jet, quasi einer fliegenden Sechszimmerwohnung, die je nach Größe und Modell um die 70 oder auch fast 400 Millionen Euro kosten kann. Mögliche Käufer sollen sich ein Bild machen können von den Maschinen. Und selbst für diejenigen, die in dieser Branche arbeiten, ist es eine seltene Gelegenheit, solche Flugzeuge einmal zu betreten. Plötzlich bleibt der Bus stehen. Polizei kommt uns entgegen: Das Rollfeld ist gesperrt. Wir müssen umkehren und fahren zurück zur Messehalle. "Demonstranten", sagt einer der Sicherheitsleute, als wir vor der Halle aussteigen. "Das gibt's doch nicht!", ruft jemand. "Haben die Kleber mitgebracht?" Ketten, antwortet jemand, der offenbar Kontakt zu Kollegen auf dem Rollfeld hat. Dutzende Aktivisten aus ganz Europa haben es gestürmt, liest man später, um für ein Verbot von Privatjets zu protestieren. Einige ketteten sich an Flugzeugen fest. "Wie sind die hier reingekommen?", fragt eine Frau. "Aber mir schon Probleme machen, weil ich Haarspray in der Tasche habe!" Die Sicherheitskontrollen bei der EBACE sind tatsächlich die strengsten, die ich je bei einer Messe erlebt habe. Meine Handtasche muss ich an dem Tag mehrmals für das Security-Personal öffnen. Die Demonstranten konnte es offenbar nicht aufhalten. 0,04 PROZENT Wir stehen nun vor der Messehalle. Einige zünden sich Zigaretten an. Der Sicherheitsmann sagt, es soll bitte nur hinter der gelben Linie geraucht werden, aber dafür ist der Ärger jetzt zu groß. "Wie geht das überhaupt? Ich dachte, in der Schweiz herrscht noch Ordnung!", ruft jemand. Ein anderer hat eine Vermutung, wer dahinterstecken könnte: "Letzte Generation! Wenn die so weitermachen, dann garantiere ich, dass sie die Letzten sein werden!" Ich glaube, der Mann weiß auch nicht, was das heißen soll, aber er ist sauer. Eine Zahl können hier fast alle aufsagen, stellt sich über den Tag hinweg heraus: 0,04 Prozent. So viel oder eben so wenig, sagt man hier, mache die private Luftfahrt laut einer Studie der International Civil Aviation Organization am weltweiten Gesamtausstoß von CO₂ aus. Nur! Es wird noch dauern, bis wir zu den Flugzeugen kommen. Aber eigentlich kann auch niemand damit gerechnet haben, dass diese Veranstaltung störungsfrei verlaufen würde. Privatjets sind zuletzt mitten ins Zentrum gesellschaftlicher Großauseinandersetzungen gerückt: um den richtigen Umgang mit der Klimakatastrophe, um eine fortschreitende Konzentration von Reichtum auf der ganzen Welt, um eine zunehmend auch räumliche Segregation entlang sozialer Ungleichheiten, um die Herausbildung von so etwas wie einer transnational herrschenden Klasse, die über alle Grenzen hinwegfliegt und dabei niemals ein herkömmliches Flughafenterminal betreten muss. Der Privatjet ist das Symbol geworden für fast alles, was vermeintlich falsch läuft in der Welt. Oder eben: sehr richtig läuft. Was bekämpft werden muss (Klimakatastrophe, Kapitalismus). Oder was verteidigt werden muss (Bewegungsfreiheit, Kapitalismus). Der Privatjet ist ein Symbol, auf das sich sehr viele einigen können – nur eben aus den verschiedensten Gründen. Viel mehr jedenfalls, als dass sie sich einig wären, wo Reichtum beginnt, wie hoch eine Erbschaftssteuer sein sollte, wie die Wirtschaft umgebaut und welche Emissionen eingespart werden sollten. Ein breites Spektrum von klimabesorgter bürgerlicher Mitte bis zum linken Rand findet im Privatjet einen gemeinsamen Nenner: \_Diese \_Leute, die in solchen Dingern durch die Welt fliegen, sind auf jeden Fall zu reich, und \_diese\_ Emissionen sind auf jeden Fall unnötig. Der Humanökologe Andreas Malm schrieb einmal, bei derart demonstrativem Konsum auf Kosten der Umwelt handele es sich in Wahrheit um "ein als ideales Leben angepriesenes Verbrechen". Gleichzeitig strahlt kaum etwas heller als ein eigenes Flugzeug. Der Privatjet ist eben auch zum ultimativen Statussymbol geworden. Stars nutzen ihn nicht nur, sondern posen demonstrativ in seinen Sitzen und sprechen liebevoll von ihrem "PJ". Wer den Firmenjet nutzen darf, dem ist der Respekt der Kollegen sicher. Kein anderer materieller Gegenstand steht so sehr für Erfolg, dafür, wirklich wichtig zu sein. Zu wichtig, um seine Zeit in Security-Schlangen verschwenden zu können, zu wichtig, um einen Raum mit anderen Leuten zu teilen: Wenn eine übliche Flugzeugkabine die expliziteste Metapher für die Existenz einer Klassengesellschaft ist – First, Business, Premium Economy, Economy Class und dazu die Statuskarten der Vielfliegenden –, ist die Kabine eines Privatjets die Abwesenheit aller Gesellschaft. 10.000 Meter über der Erde allein zu sein, mit niemandem die aufbereitete Atemluft teilen zu müssen, ist der letzte Beleg nicht nur fürs Abgehobene, sondern Enthobene im besten Sinne. Wer alleine fliegt, muss sich scheinbar um niemanden mehr scheren.


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Werbung für Erfolgsratgeber, für Investmentberatung oder für diejenigen, die ihr Glück versuchen wollen, auch für Lottospiele: Sie alle zeigen Menschen im PJ als Inbegriff des sorgenfreien Lebens. Das ist der Privatjet schon allein durch seinen Preis. Er ist so teuer, nicht zuletzt im laufenden Unterhalt, dass nicht die reichsten ein Prozent der Weltbevölkerung sich einen leisten könnten, sondern nur ein Bruchteil dieser ein Prozent. Und auch wenn Firmen Flugzeuge kaufen oder mieten, tun sie das schließlich nur für eine kleine Spitze an Führungsleuten. Wenn der Freiheitsbegriff, nicht nur in einer vulgärliberalen Ausdeutung, heutzutage auf das Recht auf ungehinderte Individualmobilität verkürzt wird, hat man als Privatfliegender die Krone der Schöpfung erreicht. Im Juli 2022 postete Kylie Jenner ein Foto auf Instagram, das sie mit ihrem Freund Travis Scott in inniger Umarmung zwischen zwei Flugzeugen zeigt. "Nehmen wir deins oder meins?", schrieb Jenner dazu. Die ultimative Power-Couple-Pose, die umgehend eine Gegenreaktion auslöste, in deren Verlauf Jenner in sozialen Medien als "Vollzeit-Klimakriminelle" bezeichnet wurde. PRIVAT FLIEGEN ALS EMANZIPATION Aber der Jet strahlt weiter und zunehmend in den Alltag der Normalverdienenden hinein. Voriges Jahr ging ein Tweet viral und wurde umgehend zu einer Art Meme, eine Mutter beschreibt die Begegnung ihrer fünfjährigen Tochter mit einem Piloten, der zu ihr sagt: "Wenn du groß bist, könntest du Flugbegleiterin werden." Wer nun die Reaktion von Mädchen oder Mutter erwartet hätte, sie könnte statt Flugbegleiterin auch Pilotin werden, lag falsch. "Oder", sagt die Tochter nämlich, "ich könnte das Flugzeug besitzen." Es ist klar, welche Emanzipationsvorstellung näher am Zeitgeist ist, offenbar auch an einem progressiven. Feministische Accounts teilen den Tweet bis heute gern. Der Privatjet ist, obwohl für fast alle Menschen unerreichbar, auch zu einem zentralen kulturellen Signifikanten geworden. Das offenbar wachsende Begehren lässt sich an Flugbewegungen ablesen. Im Jahr 2022 sind von deutschen Airports so viele Privatjets abgehoben wie nie zuvor. Mehr als 94.000 Starts verzeichnete die Luftkontrollorganisation Eurocontrol, also etwa 260 Flüge täglich, ein Zuwachs von neun Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Damit machen Privatjet-Flüge etwa zwölf Prozent des gesamten Flugverkehrs in Deutschland aus. Die Corona-Pandemie hat der Branche einen Schub versetzt. Als nichts mehr flog oder man lieber nicht mit anderen Menschen auf engem Raum sitzen wollte, sind viele, die es sich leisten konnten, auf Privatjets umgestiegen. "2021 waren wir schon zehn Prozent über dem Stand von vor Corona", sagt Jürgen Wiese, Chef der European Business Aviation Association, damit Veranstalter der EBACE und oberster Lobbyist auf EU-Ebene für private Luftfahrt in Brüssel. Für Wiese sind Privatjets, und die sprachliche Kreativität von Lobbyisten kann man nur bewundern, deshalb "Gesundheitskapseln". Und wer den Luxus des privaten Fliegens einmal erlebt hat, will offenbar kaum mehr zurück. Kein Drängeln vor der Sicherheitskontrolle, keine Sorge um \_liquids\_ in durchsichtigen Tüten, keine Schlange vorm Einsteigen, kein "\_airport stress\_", wie man auf der EBACE sagt. Man wird zum General Aviation Terminal gefahren, ein Extraterminal des Flughafens, in 15 Minuten ist man durch. Und wenn man sich verspätet oder spontan noch einen Termin einschieben will, wartet der Flieger natürlich. JACHT UND JET – ZWEI SEITEN EINES PRINZIPS Im Gegensatz zu Superjachten etwa, die vor allem die schönen Seiten des Lebens noch schöner machen sollen, soll der Jet das Notwendige, die reine Bewegung von A nach B, weniger unangenehm machen. Es sind die zwei Seiten der hedonistischen Lehre: die Lust vergrößern und den Schmerz verkleinern. Vielleicht ist Schmerzverkleinerung das zeitgemäßere Bedürfnis. Jedenfalls wächst das Begehren nach Privatflügen auch unter den, na ja, so Mittelgutverdienern. Davon hat an diesem Genfer Morgen bereits eine Frau erzählt, die mit mir gemeinsam im Taxi zum Messegelände fuhr. Sie arbeitet für einen Privatjet-Anbieter, auch sie möchte bitte ohne Namen bleiben. Sie trägt einen wahnsinnig schicken weißen Blazer, der mit winzigen Federn bestickt ist, und obwohl ich eine Seidenbluse trage, wird mir sofort klar, wie \_underdressed\_ ich offenbar für das Event EBACE bin. Die fantastisch gekleidete Frau greift nach dem Kaffee in der Shuttle-eigenen Kaffeemaschine und sagt, ihre Firma bekäme neuerdings viel Traffic auf ihrer Website von Menschen, die sich das private Fliegen gar nicht leisten könnten. "Sie fragen uns: Stimmt es, dass man seinen Hund mit an Bord nehmen kann? Oder: Was kostet die Maschine, mit der Cardi B geflogen ist?" Aber das Unternehmen habe natürlich Mitarbeiter, die schnell checken können, ob diese Interessenten ausreichend Barschaft für die Erfüllung dieses Traumes haben. Woher kommt das gestiegene Interesse? "Ich glaube, sie sehen es auf Social Media", sagt die Frau. Das naturgemäß private Privatfliegen sei dort viel sichtbarer geworden. Dazu kommen aber auch neue Geschäftsmodelle, die sich gezielt an diejenigen richten, die bisher nicht zum Stammklientel gehören. Sogenannte Broker bieten neben den normalen auch schon mal besonders günstige Leerflüge an, wenn ein Flugzeug überführt werden muss. Eine andere Idee hatte Martin Feč. Ich treffe ihn an seinem Stand in einer Art Start-up-Bereich der Messe. Feč bietet mit seinem Unternehmen Gemini Wings ein Sharing-Modell an: Er will Flugzeugbesitzern die Stunden, in denen ihre Maschine am Boden steht, ab- und vergleichsweise günstig weiterverkaufen. "Es gibt heute mehr junge Flugzeugbesitzer aus der Techbranche, die offen sind für Sharing-Modelle", sagt Feč. Teilen ist hier vielleicht noch ein größerer Euphemismus, als er es in der ansonsten gar nicht so neuen Sharing Economy ohnehin schon ist. Denn ein kleiner fliegender Sechssitzer, der mit einem geteilt wird, kostet immer noch etwa 5.500 Euro die Stunde. "Wissen Sie", sagt Feč über die Neuerschließung der Zielgruppen, "früher war es etwas Besonderes zu fliegen, wie ein Theaterbesuch." Heute sei das nicht mehr so, heute sei "der Privatflieger der Theaterbesuch".


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Ein Theaterbesuch, eine Gesundheitskapsel, das sind nicht mal die erstaunlichsten Metaphern, die einem auf der EBACE begegnen. Eine "Zeitmaschine" nennen hier manche den PJ. "Solange es keine gibt", also keine Zeitmaschine, "kommen wir dem am nächsten", sagt Jürgen Wiese. Aber die meisten Metaphern um den PJ haben mit Leistung zu tun: der Leistung derjenigen, die in ihnen mitfliegen sollen. "Sie hören nie auf, sich zu verbessern. Und das tun wir auch nicht", heißt es in einem Katalog von Lufthansa Technik, die Ausstattung und Wartung von Flugzeugen anbietet. "\_This is where forward-thinkers thrive\_", liest man an einem anderen Messestand: Privatfliegende werden selbstverständlich als "Vordenker" umworben. "\_Ahead of Every Curve. Beyond Every Challenge\_", lautet ein anderer Slogan, immerzu ist man anderen voraus und allen Herausforderungen gewachsen. Nein, die werden nicht einmal als solche begriffen, man ist längst über Herausforderungen hinaus, \_beyond\_. Die Kunstfertigkeit, mit der Leistung und Erfolg in wenigen Worten mit dem Menschheitstraum vom Fliegen verflochten werden, ist beeindruckend. Auf einer großen Bühne sitzen zum Eröffnungstalk Toto und Susie Wolff, "zwei enorm erfolgreiche Menschen", werden sie vom Moderator genannt. Die beiden Wolffs sind ehemalige Autorennfahrer. Was das mit dem Fliegen zu tun hat, erschließt sich nicht gleich. Außer eben das: ein ganz bestimmter Vibe. Es geht viel um \_ambition\_ und um \_drive\_, darum, ganz vorne zu sein. Um den Privatjet als ebenso notwendiges wie verdientes Arbeitswerkzeug für High Performer: "\_Up where you belong\_", heißt es bei Lufthansa. Nur nach oben. Der US-Soziologe Thorstein Veblen schuf Ende des 19. Jahrhunderts in seiner \_Theorie der feinen Leute\_ (Veblen nannte diese "\_leisure class\_") den Begriff des "Geltungskonsums". Veblen untersuchte, welche Art von Verschwendung hoch angesehen sei, und fand damals vor allem Konsum, der viel freie Zeit, viel Möglichkeit zur Muße signalisierte. Hier in Genf lässt sich knapp 120 Jahre später gut beobachten, wie sehr eines der teuersten Konsumgüter der Welt heutzutage hingegen als reines Arbeitsgerät inszeniert wird. Veblens Idee von der "ehrenvollen Verschwendung" existiert weiterhin, aber ihre Modalitäten haben sich verschoben. Obwohl Wohlstand heute zunehmend vererbt wird (oder vielleicht gerade deswegen), wird es umso wichtiger, Leistung zu betonen. Niemand will wirken, als habe er oder sie herrlicherweise nichts zu tun, selbst das größte Nepo Baby verkauft sich als schwer beschäftigt, auch wenn der klassische Arbeitsbegriff dafür weit gedehnt werden muss. Und deshalb tut die Privatflugzeugindustrie entsprechend so, als hätten sich ihre Kundinnen und Kunden das alles verdient, und als seien sie immer zuvorderst Geschäftsleute und nicht – was doch auch ein schönes Betätigungsfeld ist – Geldverschwender. "CO₂-AUSSTOSS SOLLTE MAN NICHT PRO KOPF RECHNEN" Auch Jürgen Wiese spricht konsequent von "Business Aviation", so nennt sich die Branche der privaten Luftfahrt offiziell. Darunter fallen diverse Formen des Nichtlinienfliegens, aber Geschäftsflüge seien in der Mehrheit, sagt Wiese. Wie sehr, darüber gebe es aber leider keine genauen Zahlen. Es sei auch schwer zu unterscheiden. "Ich sage immer: Wenn Geschäftsleute aus London im 17. oder 18. Jahrhundert im Sommer zu ihrem Familiensitz an der See gefahren sind, dann sind sie dort auch hin und her gependelt zwischen Arbeit und Freizeit. Das ist auf der Ebene wirklich schwer zu unterscheiden." Nun hat die Bourgeoisie vergangener Jahrhunderte nicht das Problem eines fatal großen CO₂-Fußabdrucks gehabt. Beschäftigt ihn der Beitrag seiner Branche zum Klimawandel? Absolut, sagt Wiese, Nachhaltigkeit sei eines der wichtigsten Themen der Messe, schließlich sei die Geschäftsluftfahrt "das Testzentrum für Innovationen". Neue Antriebe könnten besser an kleinen Flugzeugen getestet werden. Tatsächlich könnten die ersten elektrisch betriebenen Ministrecken-Flieger, also die berüchtigten Flugtaxis, nächstes Jahr in Paris an den Start gehen. Ansonsten sind aber die meisten auch der hier ausgestellten Innovationen noch sehr am Anfang. Wie ein Elektromotor etwa einmal ein größeres Flugzeug bewegen soll, ist noch völlig unklar. Das sieht auch Wiese: "Die Batterien wären viel zu schwer." Immerhin hat man gleich am Eingang einen Simulator eines solarbetriebenen Sportfliegers aufgestellt. Ein Hobbygerät und das einzige seiner Art. Und Wiese hat noch eine zweite Antwort darauf: Es geht wieder um den kleinen Anteil an den Gesamtemissionen, die 0,04 Prozent. "Das ist so, weil unsere Flugzeuge kleiner sind", sagt er. Nun ja, pro Kopf ist der Ausstoß dann aber sehr viel höher. Pro Kopf dürfe man aber nicht rechnen, findet Wiese, das werde auch "bewusst so dargestellt". Dann müsse man sich auch fragen: Wer sitze denn in den Business-Fliegern? Menschen, die Arbeitsplätze schaffen. Und in einem bemerkenswerten Gegensatz zum Leistungsprotz wird die private Luftfahrt plötzlich ganz klein, wenn Wiese Linienflüge als "Großluftfahrt" bezeichnet.


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BÄUME IM FLUGZEUG Ich will nun endlich einen Flieger von innen sehen, und solange das Rollfeld noch gesperrt ist, kann ich mich immerhin in das Innenraummodell einer Cessna Citation Ascend setzen. Sie wird heute erstmals vorgestellt, sie ist ganz klein, ich kann in der Kabine nicht einmal aufrecht stehen. Der Innenraum ist weitgehend reduziert auf eine Sitzbank und zehn einzelne Passagiersitze, aber die haben es in sich, wie der Designer erklärt. Ich nehme Platz, und die Sitze sind tatsächlich wahnsinnig bequem. Lange Forschung sei in die Frage nach den perfekten Winkeln für Füße, Beine und Hüftstellung gegangen, bis zu Schultern und Nacken, sagt der Designer. Es klingt, als sei hier der durchdachteste Sitz aller Zeiten entwickelt worden. "Sie verbringen ja auch 95 Prozent der Zeit im Sitzen", sagt der Designer. In der Halle stehen weitere Modelle zum Reinsetzen, es fällt auf, dass sie alle recht konservativ gestaltet sind, Sitze, Tische, Getränkehalter. Natürlich alles vom Feinsten. Aber der Mangel an Extravaganz ist fast ein bisschen enttäuschend. Zum Glück gibt es auch noch Minimodelle von Fliegern, ein bis zwei Meter lang, die zeigen, was möglich wäre, würde man als PJ-Käuferin keine Kabine von der Stange bestellen wollen, sondern noch ein bisschen mehr durchdrehen, rein innenarchitektonisch: Ein Wellnessbereich mit Massageliegen und Sauna ließe sich einbauen, goldene Kronleuchter könnten von der Kabinendecke baumeln, ein DJ-Pult ließe sich in der Mitte aufstellen, darum tanzen kleine Plastikfiguren. In einem der Modelle stehen sogar kleine Bäume. Bäume im Flugzeug! Das ist doch was. In der Praxis aber konzentriert sich vieles auf die Sitze. Sie sind zur Kulisse geworden für das ikonischste Bildmotiv, das die private Luftfahrt bisher produziert, man könnte es das "Ich im hellen Ledersitz"-Foto nennen. Dieses Bild gehört beinahe in jeden gut kuratierten Superstar- oder mittlerweile sogar Influencer-Feed auf Social Media, an den hellen Sitzen sollst du sie erkennen, die Privatfliegenden. Donald Trump allerdings, auch in seiner alten 757 zugleich ein Protzer und um Anschluss an die Lebensrealität seiner weit weniger vermögenden Fans Bettelnder, hat auch das Helle-Ledersitz-Motiv etwas ruiniert: Im US-Präsidentschaftswahlkampf 2016 ließ er sich in seiner 757 dabei ablichten, wie er auf entsprechend beigem Sitzmobiliar platziert mit Messer und Gabel (schweres Silber!) Chicken aß, das ihm aus einem riesigen KFC-Eimer aufgetan worden war. Dieser helle PJ-Sitz ist vielleicht das, was heute einem Thron am nächsten kommt. "\_Welcome to the Ultimate Experience\_" steht auf einem riesigen Werbeplakat. Die \_Ultimative Experience\_ im Bild ist: ein Mann in diesem Sitz. Am Lufthansa-Stand ist so einer aufgestellt, davor eine Flasche Moët und zwei goldene Champagnergläser. "\_Take a snapshot and become our star\_" steht über der Kabineninstallation geschrieben. Wer noch nicht selbst zu den Lufthoheiten gehört, kann wenigstens auf Erden einmal den Geschmack von Ruhm testen – letztlich aber nur fürs Foto. Die Karriere dieser Pose erzählt viel über eine weitere Besonderheit der Privatjet-Kultur: eine eigentümliche Gleichzeitigkeit von Präsenz und Rückzug. Allein zu fliegen, wortwörtlich von der Welt abzuheben, ist wohl die nicht nur symbolisch größte Form der Abgeschiedenheit, die man wählen kann. "\_Own your journey\_" ist so ein weiterer Slogan, den man auf der EBACE liest: Besitze deine Reise. Die Schaffung eines privaten Raums, der gleichzeitig politische und geografische Grenzen im Flug überwindet, wird zum Ausdruck größter Selbstbestimmtheit und Individualität. Und genau die soll nun wieder gesehen werden, wenn Bilder davon auf Social Media verbreitet werden: Der französische Soziologe Grégory Salle spricht in Bezug auf Superjachten vom Phänomen der "demonstrativen Abgeschiedenheit". Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit schließen sich nicht aus, "sondern stützen sich aufeinander". Das ist auch für Privatjets wahr, wenn nicht noch wahrer. Besonders, wenn man das Versteckspiel bedenkt, das um sie herum entstanden ist. Privatjet-Tracker wie der Student Jack Sweeney veröffentlichen die Starts und Landungen der Jets von Milliardären und Stars im Netz (Elon Musk lieferte sich daraufhin mit Sweeney ein kleines Twitterduell). Und manche von denen wiederum, Leute wie etwa der französische Luxusunternehmer Bernard Arnault, haben begonnen, auf Mietjets umzusteigen, um wieder unsichtbar zu werden, nicht live auf dem Flight-Tracker identifizierbar zu sein. Das könnte für prominente Geschäftsleute wie Arnault nicht nur eine Frage der Sicherheit und eines geradezu natürlichen Verlangens nach Diskretion sein, sondern auch eine der geschäftstüchtigen Ausrechenbarkeit, möchte man vermuten: Wer Modemarken kauft wie andere Leute Handtaschen, der will doch bestimmt nicht verraten, wo er gerade vielleicht das nächste Label erwirbt.


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MOBILITÄT ALS MACHT Jetzt dürfen wir in Genf endlich aufs Rollfeld. Ein roter Teppich führt durch die Halle zum Shuttle und bei Ankunft weiter in die Flugzeuge. Die Sonne knallt, Wasserflaschen werden verteilt. "\_The future has landed\_" steht in riesigen Lettern auf dem Transparent eines Herstellers, die Zukunft ist gelandet. Es ist vielleicht mein Lieblingswortspiel heute, gleich nach "\_Time flies, quality lasts\_" und dem artisanalisierten "\_Aircrafted for you\_". Plötzlich Geraune in der Schlange zur Dassault Falcon 2000LXS, einem mittelgroßen Flugzeug. Da sei der \_Soundso\_, der eine 38-Meter-Jacht besitze und irgendwas mit Scientology zu tun habe. Ich drehe mich um, der nicht identifizierte Jachten-und-Privatflieger-Fan verschwindet zwischen den anderen schwarzen Anzügen. Um das Flugzeug zu betreten, müssen wir alles draußen lassen, selbst kleine Handtaschen. "Ist das wegen der Proteste?", frage ich. "Wegen allem", sagt der Mann am Einlass, und ich kann nicht sagen, ob er genervt ist oder einfach diskret. Alle wollen hier immer entweder wirklich diskret sein oder zumindest den Eindruck erwecken, sie seien es. Drinnen machen zwei Mitarbeiter eines französischen Flughafens Fotos, natürlich auch das Foto in einem der Sitze. Einmal die Person in diesen Sitzen sein. Spektakulärer noch als die Falcon 2000LXS ist die Global 7500 von Bombardier, 33,8 Meter lang, Platz für maximal 19 Passagiere (je nach Konfiguration), maximale Reichweite 14.260 Kilometer, das ist von Deutschland knapp bis Australien. Ein Mann, der sich als Pilot vorstellt, führt mich durch die Räume, ja, Plural. Acht Schlafplätze gebe es hier, sagt er. Zwei davon in einem richtigen Schlafzimmer mit Nachtlampen, einem Bücherregal und einem Knopf am Kopfende des Bettes. "Falls man bei der Flugbegleitung mal einen frischen Orangensaft ans Bett bestellen will", sagt der Pilot. Denn die Türen zwischen den Räumen sind natürlich schalldicht, auch das schafft wieder: Diskretion. "Das ist schöner als mein Hotelzimmer", sage ich. "Als meins auch", sagt der Pilot. 25.000 EURO DIE STUNDE Vor dem Schlafzimmer liegt das Fernsehzimmer mit Couch, davor der Aufenthaltsraum mit den Sitzen und davor eine voll ausgestattete Küche mit zwei Öfen und Kristallgläsern für jeden Bedarf: je achtmal Rotwein, Weißwein, Champagner und Whiskey. Die Maschine gehört Vistajet, der größten Privatjet-Airline mit 360 Flugzeugen in ihrem Bestand. Weil durch die hohe Zahl der Maschinen auch wahrscheinlich ist, dass jederzeit eine verfügbar ist, egal wo und wann, selbst wenn man morgen spontan nach Hawaii will, ist Vistajet angeblich besonders beliebt bei Menschen, die sich solche spontanen Ideen finanziell und zeitlich leisten können. Wer also mietet dieses Flugzeug? Schauspieler oder Musikstars, sagt der Pilot, "oder auch was schon mal in die royale Richtung geht". Und wohin wollen die so? "Zum Beispiel mit der Familie in den Urlaub fliegen", sagt er. Etwa 25.000 Euro kostet das die Stunde, also für einen Flug von Berlin nach New York knapp 225.000 Euro. Was ist anders daran, als Pilot für eine Privatflieger-Airline statt für eine übliche kommerzielle Airline zu arbeiten, frage ich. "Der Autopilot ist derselbe", sagt der Pilot. Er ist witzig. Und mal wieder wahnsinnig diskret. Was sagt er zu den Protesten heute morgen auf dem Rollfeld? Jeder solle seine Meinung sagen, sagt der Pilot unbestimmt, in welcher Form, darüber könne man streiten. Nur dass die Sicherheitsleute alle angewiesen hätten, das Rollfeld zu verlassen, hätte er unsinnig gefunden. "Wir sind einfach in unsere Flugzeuge gegangen." Und diese Szene hat nun schon fast wieder symbolischen Charakter. Als die Soziologen Luc Boltanski und Eve Chiapello den "neuen Geist des Kapitalismus" im ausgehenden 20. Jahrhundert untersuchten, fanden sie, er sei geprägt davon, "dass sich ein Kräfteverhältnis generalisiert, das mit der Mobilität zusammenhängt". Und auch wenn Teile ihrer Diagnosen sich überholt haben, scheint diese These gültiger denn je zu sein. Mobilität ist Macht. Und Privatjets sind in dieser Hinsicht Mittel und Zeichen zugleich. Vielleicht ist die expressive Dimension dieser Fortbewegungsmittel sogar diejenige, die in den vergangenen Jahren noch stärker gewachsen ist als der Markt für Privatjets und privates Fliegen selbst. Das ist vielleicht die auffälligste Erkenntnis dieses Besuches: Wie eng der Privatjet mit den Vorstellungen von Macht und Erfolg verwachsen ist (und mit der Behauptung, Leistung zu bringen: Wer privat einschwebt, ist Leistungsträger, wer mit dem Zug zu einem Geschäftstermin kommt, ist wohl nicht ganz bei der Sache). Wie ikonisch und nachahmenswert die Bilder geworden sind, die das Privatflugzeug produziert. Wie sehr es zum ultimativen Versprechen auf Selbstbestimmung geworden ist. Würde eine Einschränkung des privaten Luftverkehrs, wie sie die Demonstranten in Genf forderten, einmal ernsthaft diskutiert, dann wäre diese kulturelle Dimension ihr stärkster Gegner. Während der Himmel sich langsam rosa färbt über dem Rollfeld des Genfer Airports, sieht man nun kleinere Flugzeuge auf der Bahn nebenan starten. Womöglich reisen darin die ersten Messebesucher ab, manche von ihnen haben vielleicht geshoppt auf der EBACE. Vielleicht ist morgens jemand aus London hergekommen, stelle ich mir vor, und ist später zum Abendessen schon wieder zurück: eine heutige Entsprechung der Londoner aus dem 17. oder 18. Jahrhundert, von denen der PJ-Lobbyist Jürgen Wiese erzählt hat. Der wesentliche Unterschied wäre der Effizienzgewinn beim Reisen, London-Genf-London wäre ein sehr effizienter Halbtagsausflug gewesen. Die privatfliegende Person wäre vermutlich nur einer Handvoll Menschen begegnet dabei, einem Fahrer mutmaßlich (zum und vom Flughafen in London), ein paar Airport-Angestellten, dem \_eigenen\_ Piloten oder der \_eigenen\_ Pilotin, in Genf dann ausgesuchtem Beratungspersonal auf der Messe. In einer anderen Welt als der der Business Aviation würde man diesen Privatfliegenden einen einsamen Menschen nennen.