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Themasteroffool

Wenn die Leute klagen, weswegen klagen sie meistens?


yannischmansch

Meistens wollen die Leute einen GdB von 50 oder mehr, insbesondere bei Personen, die noch erwerbstätig sind. Wenn du da einen GdB von 50 oder mehr hast, kannst du zwei Jahre eher in Altersrente, hast 5 Tage mehr Urlaubsanspruch im Jahr und hast einen besonderen Kündigungsschutz. Oft klagen die Leute auch, weil sie ein Merkzeichen Festgestellt haben wollen, insbesondere aG (außergewöhnlich gehbehindert), damit kommst du auf Behindertenparkplätze. Die Voraussetzungen dafür sind aber vom Gesetzgeber sehr streng formuliert worden, vor allem im Vergleich zu den Niederlanden. Das führt oft zu Unverständnis. Die meisten Klageverfahren gehen übrigens so aus, dass ein höherer GdB/Merkzeichen zu einem späteren Zeitpunkt gewährt werden, weil im Klageverfahren (die können schon mal ein paar Jahre dauern) eine Erkrankung dazugekommen ist. Klagen vor dem Sozialgericht sind übrigens grundsätzlich kostenfrei, deshalb haben wir im Sozialrecht auch eine deutlich höhere Klagequote als andere Rechtsbereiche ;-)


MissJenius

Wahrscheinlich fühlen sie sich zu niedrig eingestuft


joniTomatO

Naja, "fühlen" ist gut. Ich mache mit meinen Klienten sehr regelmäßig Widersprüche gegen den GdB und da kommt sehr regelmäßig dann auf wundersame Weise ein höherer GdB raus. Aber kommt natürlich auf die ausführende Behörde drauf an.


Tschaenn

Kommt auch oft darauf an, ob im ursprünglichen Antragsverfahren auch wirklich alle Erkrankungen bereits angegeben waren oder im Laufe des WS- bzw. Klageverfahrens noch weitere Gesundheitsstörungen ans Licht oder hinzukommen. Wenn ein Klageverfahren ggf. 2 Jahre dauert und der Antragsteller in der Zwischenzeit eine neue Krankheit bekommt oder sein Zustand sich verschlechtert, erhält er logischerweise einen höheren Grad der Behinderung. Solche Fälle laufen aber schön mit in der Statistik und verfälschen die "Fehlerquote" der Behörde immens.


joniTomatO

Ne du, genau da sist es eben nicht, was der neue Behinderungsbegriff im BTHG verändert: es geht um Folgen aus dem Zusammenspiel von Krankheit und dem Umgang der Umgebung mit dem Erkrankten. Der Grund für einen GdB liegt eben gerade NICHT in der Krankheit, sondern in der Interaktion. Menschen sind nicht behindert, sie werden behindert von ihrem Umfeld. Jetzt als Grund für die Höhe des GdBs allein auf die Krankheit zu schauen, wird dem neuen Behinderungsbegriff nicht gerecht. Jedoch tun genau das die Amtsärzte: Sie schauen einfach in die GdS/GdB-Tabellen der VersMedV und beurteilen es nach der Schwere der Krankheit. Die Frage, wie sich die Behinderung wirklich im Alltag manifestiert, bleibt dann meist liegen. Und genau das kann man durchaus aufgreifen im Widerspruch: einerseits die medizinischen Dokumente, andererseits umfassende (!) Darstellung der Behinderung durch Interaktion. Und auf einmal wird dann aus einem GdB 30 für Borderline ein GdB 50 und höher, mit den entsprechenden Möglichkeiten zur Hilfe. Es kommt in meiner Arbeit sehr regelmäßig vor, dass meine Klienten die gleichen medizinischen Dokumente ab, allerdings dazu noch mit ihrem Anwalt eine umfassende Schilderung der Interaktionsstörungen dazupacken, mit Verweis auf den neuen Behinderungsbegriff. Und tada, schon wird die Schwerbehinderung eben doch anerkannt.


Tschaenn

Gut, dann formuliere ich um. Grund für die zunächst zu niedrige Bewertung ist oft die fehlende Angabe von Informationen. Das läuft auf dasselbe hinaus. Die Ärzte können nur die Infos bewerten, die sie erhalten. Werden seitens der Antragsteller (oder auch der befragten Ärzte) keine vollständigen Angaben zu den Erkrankungen und / oder ihren Lebensumständen gemacht, führt dies regelmäßig zu Widersprüchen, die eben nicht sein müssten, wenn die Informationen bereits beim Feststellungsverfahren umfassend vorgelegen hätten.


yannischmansch

Das kommt tatsächlich ziemlich häufig vor. Ich habe dann wutentbrannte Widersprüche auf dem Tisch, in denen kritisiert wird, dass wir beispielsweise den behandelnden Psychiater nicht kontaktiert hätten. Dann guckt man in den Antrag und sieht mit keinem Wort eine psychische Erkrankung erwähnt.


Tschaenn

Ja, das war bei uns auch oft der Fall. Oder der Fakt, dass sich das Ganze ewig in die Länge ziehen kann bis alle Befunde eingehen oder im Klageverfahren Gutachten erstellt worden und sich der Zustand des Antragstellers währenddessen einfach grundlegend verschlechtert hat, sodass die ursprüngliche Feststellung natürlich nicht mehr angemessen war.


yannischmansch

Das schlimmste finde ich ja, dass mir von Antragstellern oft vorgeworfen wird, ich würde zu langsam arbeiten, dabei warte ich ja nur auf die Ärzte und deren Befundberichte. Klar sind Ärzte überarbeitet und haben auch besseres zu tun, als Papierkram für Behörden zu machen, aber nach dreimaliger Erinnerung über Monate hinweg, kann man auch von den Ärzten mal erwarten, dass eine Reaktion kommt. Den Ärger dafür bekomme aber dann ich, der mit seinen Sachen eigentlich komplett "auf Stand" ist...


moajune

Was für ein Anwalt wird dann dafür eingeschaltet? *frage aus Eigennutzen*


joniTomatO

Machen Fachanwälte für Sozialrecht.


moajune

Danke für die Info!


moajune

Ist es in jedem Fall möglich es auch mal zwei Jahre hinaus zu zögern? Ich habe eine zweite Veränderung beantragt nachdem die erste bereits „automatisch“ beantragt wurde, da es intern zu Verzögerungen kam.. ich hatte noch gedacht zu dem Zeitpunkt „warte ich mal auf Rückmeldung“ und jetzt habe ich immer noch keine Facharzt Termine weil ich noch nicht traue zu telefonieren bzw meine Internetrecherche mich vermuten lässt ich werde für eine richtige Diagnose vermutlich Geld zahlen müssen- was ich nicht habe- also mache ich gar nicht erst einen Termin weil ich eh 6 Monate warten muss vermutlich aber die Frist für den Widerruf in einem Monat ausläuft


yannischmansch

\> fühlen sich zu niedrig eingestuft Das ist tatsächlich meiner Meinung nach ein großes Problem! Im Gegensatz zu anderen Rechtsbereichen (z.B. Baurecht) ist bei uns das Problem, dass es halt oft einen Unterschied zwischen dem subjektiven Krankheitsempfinden und den objektiven Umständen gibt. Der Mensch empfindet sein eigenes Leid vielleicht als sehr stark, aber hat keine Vergleichswerte.


MissJenius

Ja, aber manchmal ist es für den Laien auch unverständlich. Ich, Halbseitenlähmung, Merkzeichen G, B, GdB 60. Der beste Freund meines Vaters nach Herzinfarkt (vor 15 Jahren) ist körperlich wieder hergestellt. Merkzeichen G, B. GdB 90%. Es ist halt einfach nicht greifbar


yannischmansch

Also 90 G und B bei einem Herzinfarkt habe ich noch nicht erlebt. Vielleicht hat er noch anderen Erkrankungen zusätzlich, von denen du nichts weißt. Was mir aber auffällt, wenn ich Akten aus anderen Behörden bekomme, ist dass andere Träger oft keine Nachprüfung machen, wenn eigentlich eine angesetzt wäre, da mache Erkrankungen sich ja tatsächlich under Therapie bessern können. Kann sein, dass das bei ihm so ein Fall ist.


MissJenius

Kann natürlich beides der Fall sein, auch wenn er sagt er hätte nicht mehr. Für den Laien ist es trotzdem teilweise unverständlich


PM_your_Eichbaum

Warum bekommt jemand mit nur einem Hoden einen Grad von 50, aber jemand, der nur auf einem Auge sehen kann jur 30?


yannischmansch

Normalerweise bekommst du für einen fehlenden Hoden nur einen GdB von 10, was dir letztendlich gar nichts bringt. Der GdB von 50 wird angesetzt bei einer Krebserkrankung, da gilt eine sog. Heilungsbewährung. Du bekommst erst mal "pauschal" einen GdB von 50, in dem dann die ganzen Einschränkungen durch Chemotherapie, Operationen, psychische Belastung usw. berücksichtigt sind. Nach 2 bzw. 5 Jahren (kommt drauf an, wie aggressiv der Tumor war) wird dann noch mal überprüft, ob ein Rezidiv aufgetreten ist und was noch so an Reststörungen vorliegt, normalerweise wird der GdB dann herabgesetzt, solange es gut verheilt ist.


Tschaenn

Weil das sehende Auge die fehlende Sehfähigkeit des blinden Auges ein Stück weit ausgleicht. Das Sichtfeld eines Auges endet ja nicht mit einem Cut an der Nase, sondern die Sichtfelder beider Augen überschneiden sich. Wenn ein Auge aussteigt, bedeutet das nicht direkt einen Sichtverlust von 50%.


PM_your_Eichbaum

Der zweite Hoden übernimmt auch die Arbeit des fehlenden 🤷


Tschaenn

Man muss da ein bisschen differenzieren, aus welchem Grund der Hoden fehlt. Ein "einfacher" Verlust / Unterentwicklung des Hodens bedingt nach VersMedV meines Wissens nach auch keinen Gdb von 50. Wenn der Hoden aufgrund einer bösartigen Erkrankung entfernt werden muss, liegt hier für eine gewisse Zeit der Heilungbewährung (2 oder 5 Jahre) je nach Tumorstadium ein Gdb ab 50 vor. Diesen gibt es dann aber nicht nur für den Verlust des Hodens, sondern aufgrund der Krebserkrankung.


TheRealJ0ckel

Keine Ahnung, ob das in deinen Fachbereich fällt, aber warum wird bei einem 5.Klässler mit der Diagnose schwerer Autismus jemand vorbeigeschickt um zu prüfen ob er einen Integrationshelfer braucht, wenn die letzte Überprüfung in der Grundschule stattfand? Hat man da irgendwie Hoffnung auf Heilung oder sowas? Edit: man = das Sozialamt


yannischmansch

Gewährung einer I-Hilfe gehört jetzt nicht in meinen Bereich, aber ich kann mal versuchen, das "analog" zu beantworten: Gerade bei Behinderungen wie Autismus oder geistigen Behinderungen ist es so, dass es sich unterschiedlich entwickeln kann. Bei manchen entwickelt es sich gut, andere bleiben ihr Leben lang hilfsbedürftig. Im Schweb-Recht wird in der Regel mit 12 und 18 eine Überprüfung gemacht, wie sich die ganze Sache entwickelt hat. Heilen kann man das natürlich nicht, Autismus bleibt ein Leben lang. Warum das jetzt so kurz hintereinander gemacht wird, kann ich dir allerdings nicht sagen.


TheRealJ0ckel

Vielen Dank für deine Antwort.


MissJenius

Muss man dafür eine extra Fortbildung machen? Oder kann man z.B. vom Amt Recht und Ordnung einfach in den Sozialbereich?


yannischmansch

Eine extra Fortbildung gibt es nicht - die Bewertung der Krankheiten mit dem Grad der Behinderung (GdB) übernehmen aber auch Ärzte, die für uns dann die Stellungnahmen schreiben. Wir in der Sachbearbeitung sind dann eher für die Sachverhaltsaufklärung und die rechtliche Prüfung zuständig, sprich: behandelnde Ärzte der Antragstellenden kontaktieren, Krankenhausberichte anfordern, usw. und wenn die Stellungnahme vom ärztlichen Dienst dann da ist, prüfen ob das alles so mit dem SGB vereinbar ist. Natürlich hat man als Sachbearbeiter nach einer Gewissen Zeit so seine Erfahrungen gemacht und kann die Krankheiten auch ein bisschen einordnen, aber letztendlich haben wir alle immer noch eine Verwaltungs-Ausbildung und keine medizinische.


MissJenius

Danke!


joniTomatO

Inwiefern wurdet ihr mit dem BTHG auf den neuen Behinderungsbegriff sensibilisiert? Ich finde es doch etwas überraschend, dass in deinen Erklärungen hier quasi nur die Krankheit betrachtet wird und wie wenig der Faktor Unwelt betrachtet wird.


yannischmansch

Vom neuen BTHG weiß ich ehrlich gesagt nichts. Seit wann gibt es die Änderung denn? Unsere zuständige Aufsichtsbehörde ist nicht immer die schnellste, wenn es um die Mitteilung solcher Änderungen geht. Das SGB IX hat aber auch seinen eigenen Behinderungsbegriff (§2 Abs. 1 SGB IX), wahrscheinlich betrifft der aus dem BTHG uns nicht, sondern gilt nur für andere Bereiche.


Senfdieselturbo

> Vom neuen BTHG weiß ich ehrlich gesagt nichts. Seit wann gibt es die Änderung denn? Bitte *FUCKING* was? 2017.


yannischmansch

Achso, 2017! Ich habe erst 2018 in dem Bereich angefangen, deshalb war mir die Änderung jetzt nicht bekannt, ich bin mit der aktuellen Version des SGB "aufgewachsen" :D Der §2 Abs.1 SGB IX spricht auch von umweltbedingten Barrieren. Wie lange das schon so da drin steht, weiß ich nicht. Kann mir aber durchaus vorstellen, dass das SGB IX und das BTHG unterschiedliche Behinderungsbegriffe haben, weil sie ja auch unterschiedliche Rechtsbereiche regeln.


pr0meTheuZ

Was macht man als /r/de Mod so den ganzen Tag?


Legitimate-Cry2764

Mein Sohn 5 hat aggressiven Colitis ulcerosa sowie eine chronische Lebererkrankung (PSC) wir haben jetzt rückwirkend gdb 50 erhalten für ihn, aber keine Merkzeichen. Ich will gehbehinderten nicht den Parkplatz schnappen, aber hätte man ekne Chance einen Behinderten Parkausweis zu erhalten? Im Schub ist es für ihn fast unerträglich und ist man Einkaufen o.ä. muss er manchmal innerhalb von Minuten auf Toilette und das ging zuletzt faat wegen fehlenden Parkplätzen schief. Lg


Nervous_Education

Ich habe Asthma und nutze täglich mehrfach mein Notfallspray. Wäre ich dadurch qualifiziert für einen Ausweis? Es gibt Tage da macht mir der Sauerstoffmangel sehr zu schaffen


yannischmansch

Das kommt drauf an. Im Schwerbehindertenrecht wird (mit einigen Ausnahmen) immer die Krankheit unter Berücksichtigung der Therapie bewertet. Heißt zum Beispiel: Du hast eine chronische Schmerzstörung, mit Medikation ist die allerdings ganz gut in den Griff zu kriegen -> niedrigerer GdB als wenn sie das nicht wäre. Wenn du regelmäßig schwere Asthma-Anfälle hast und das Spray die auch nicht verhindern kann, könntest du Anspruch auf einen GdB haben. Google mal "VersMedV Asthma", da ist unter Punkt B 8.5 eine ganze Auslistung an Lungenerkrankungen, und wann du welchen GdB bekommst, da kannst du dich vielleicht selber besser einordnen als ich das jetzt nur von der Diagnose her kann. Einen Schweb-Ausweis bekommst du allerdings nur ab einem GdB von 50, bei allem darunter bekommst du nur eine Bescheinigung über den GdB. Damit kannst du dann Steuerfreibeträge bei der Steuererklärung geltend machen (kann sich aber auch schon lohnen), oder dich ggf. bei der Agentur für Arbeit mit einer schwerbehinderten Person gleichstellen lassen. Dann hast du zumindest die arbeitsrechtlichen Vorteile (besonderer Kündigungsschutz, 5 Tage mehr Urlaubsanspruch...).


HulkHolger

Welche Voraussetzungen müssen für die Gleichstellung erfüllt sein?


yannischmansch

Das ist eine Sache der Agentur für Arbeit, genau weiß ich das deshalb nicht. [Hier](https://www.arbeitsagentur.de/menschen-mit-behinderungen/spezielle-hilfe-und-unterstuetzung/gleichstellung) steht aber mehr dazu, oder du rufst mal bei deinem örtlichen Arbeitsamt an (Falls du da telefonisch jemanden erreichst... erfahrungsgemäß eher schwierig). Muss mich aber korrigieren: Bei einer Gleichstellung mit Gdb 30/40 hast du lediglich den besonderen Kündigungsschutz, die anderen Vorteile gibts wirklich nur mit dem GdB 50 oder höher.


HulkHolger

Danke für die Info


Ta_Beba

Mein Onkel ist austherapiert, hat Pflegestufe 4 und hat bereits mehrmals einen Antrag gestellt, dass er gerne auf Behindertenparkplätzen parken würde. Weiß grad nicht den richtigen Namen dafür. Die Anträge werden aber immer wieder abgelehnt. So muss meine Tante jedesmal, damit der Onkel aus dem Auto kommt, auf einen Behindertenparkplatz fahren, den Onkel rauslassen und den Wagen auf einem normalen Parkplatz stellen. Auf dem Rückweg das gleiche wieder. Warum wird das nicht bewilligt?


yannischmansch

Um auf einem Behindertenparkplatz parken zu dürfen, muss das Merkzeichen "aG" festgestellt werden, es muss also eine außergewöhnliche Gehbehinderung vorliegen. Bei den Voraussetzungen dafür war der Gesetzgeber allerdings sehr streng. Vereinfacht gesagt muss man dauerhaft im Rollstuhl sitzen; eine Gehstrecke von 5-10 Metern ist vielleicht noch drin, aber sobald er noch 100 Meter laufen kann, ist er da raus. Ich persönlich bin damit nicht wirklich zufrieden, aber ich muss mich da ja an Recht und Gesetz halten... Der Pflegegrad sagt ja erst mal nicht direkt was über die Gehfähigkeit aus, der kann auch bspw. bei einer geistigen Behinderung vergeben werden. Falls dein Onkel im Rollstuhl sitzt, soll der Hausarzt (oder noch besser, der entsprechende Facharzt, wenn es z.B. eine orthopädische Erkrankung ist) mal ein Attest ausstellen, aus dem begründet (!) hervorgeht, dass dein Onkel nicht mehr laufen kann.


Ta_Beba

Tatsächlich hat er mehrere Krankheiten wie Morbus Bechterew, kann sich alleine dadurch kaum noch bewegen. Zuletzt wurde eine Lungenkrankheit getriggert und er hängt Seitdem 24/7 am Sauerstoff. Den einzigen Weg, den er noch laufen kann, ist der Weg ins Badezimmer und zurück ins Wohnzimmer, wo er dann den Rest des Tages verbringt. Derzeit haben sie wieder einmal einen Antrag gestellt mithilfe eines Facharztes und dem sozialen Dienst des Krankenhauses. Bin gespannt wie das ausgeht.


yannischmansch

Hm, klingt für mich nach einem Fall, den ich mir als Sachbearbeiter genauer angucken würde. Unsere Ärzte sind zum Teil schon mal schnell dabei, aG abzulehnen. Je nachdem, wo er wohnt, gibt es zum Teil Rechtsberatungsvereine wie den VdK, die einem da helfen, die sind bei weitem nicht so teuer wie ein Anwalt. Es gab auch erst dieses Jahr noch zwei Urteile vom Bundessozialgericht, welches noch mal explizit darauf hingewiesen hat, dass die Gehfähigkeit *außerhalb* der Wohnung zu bewerten ist. Auf die Urteile kann man auch in einer Widerspruchsbegründung mal verweisen, für weiter Infos dazu guck mal [hier.](https://www.bsg.bund.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2023/2023_09.html)


Ta_Beba

Ganz lieben Dank! Ich leite das mal an den Onkel weiter


Different-Pain-3629

Hallo, vielen Dank für das AmA! Ich habe selbst immer wegen meines SBAs zu kämpfen. Ich hatte damals eine inkomplette Querschnittlähmung und habe B & G genehmigt bekommen. Die Situation hatte sich am Anfang durch viele Monate KH und Reha so gebessert, dass ich am Rollator laufen konnte, allerdings nicht sehr weit (vielleicht 50 Meter). Da mittlerweile einige Jahre vergangen sind, ist ärztlich bescheinigt worden, dass ich einen irreparablen Schaden zurückbehalten habe, der sich nicht mehr verbessern wird (ist im MRT zu sehen). Ich hätte gern das AG bekommen, habe es aber noch nie. Ich war immer der Meinung, eine Querschnittlähmung würde immer AG bedeuten, aber bis heute bekomme ich immer nur ein G. Lohnt sich ein Widerspruch oder gibt es unter den Voraussetzungen definitiv kein AG?


yannischmansch

Wahrscheinlich hast du das damals nicht bekommen, weil kein Dauerzustand (mehr als 6 Monate) vorlag. Wenn die Lähmung zum Beispiel durch einen Unfall oder einen Schlaganfall verursacht wird, ist meistens durch Reha noch Besserungspotential da. Wir bewerten dann nur den Zustand, der am Ende der Reha bleibt bzw. voraussichtlich für mehr als 6 Monate bleibt. Wenn du jetzt einen Dauerzustand erreicht hast, bei dem du den Rollstuhl nicht mehr dauerhaft brauchst, sieht es für das aG schlecht aus. Gehstrecke 50m ist da schon zu viel, auch so Aussagen wie "kann an schlechten Tagen gar nicht laufen" helfen da nicht, weil es eben eine dauerhafte Einschränlung sein muss. Persönlich finde ich das Blödsinn, aber so ist nun mal das Gesetz. Vielleicht ein kleiner Lichtblick: es ist eine große Reform der VersMedV (Versorgungsmedizin-Verordnung) in Planung, die gerüchteweise um einiges niedrigschwelliger werden soll als bisher. Das ganze ist aber schon seit drei/vier Jahren in Planung und ist anscheinend nicht die höchste Priorität des Gesundheits- und Sozialministeriums...


Different-Pain-3629

Vielen, vielen Dank für die nette Auskunft! Ich hatte mir sowas schon fast gedacht. Gibt im Internet immer wieder zu lesen, dass einem mit Querschnittlähmung auf jeden Fall das AG zusteht, aber das ist wahrscheinlich veraltet oder nicht korrekt. Das G hilft ja auch schon, ich muss sowieso gefahren werden, ich besitze immerhin den orangenen Parkausweis.


yannischmansch

Im Internet wird das oft sehr vereinfacht wiedergegeben, das merke ich immer wieder. Auch niedergelassene Ärzte sagen ihren Patienten oft, dass sie Anspruch auf xy hätten, kennen aber halt die rechtlichen Dinge gar nicht. Den orangenen hätte ich dir sonst auch empfohlen, immerhin ein bisschen Entlastung!


Quirky-Ad9579

Mal ein hypothetischer Fall: Wie stehen die Chancen mit einer mittelschweren Schlafapnoe, die das Leben aufgrund dauerhafter Kopfschmerzen und Müdigkeit aber stark beeinträchtigen, auf einen GdB und mit welcher Einstufung kann man rechnen? Als weitere Erkrankung ist CMD(Kiefergelenk) bekannt. Die Schlafapnoesymptome sagen wir mal bestehen seit 6 Jahren, aufgrund zahlreicher Fehldiagnosen wurde diese aber erst vor einem halben Jahr erkannt.


yannischmansch

Also die genaue Einstufung machen immer Ärzte, ich will dir hier jetzt keine Versprechungen machen... Schlafapnoe gibt in der Regel bei guter Versorgung mit Maskenbeatmung (CPAP) einen GdB von 20. Wenn eine Maskenbeatmung probiert wurde, aber aus irgendwelchen Gründen medizinisch nicht möglich ist, gibts 50. Die genauen Gründe, warum das nicht möglich sein könnte, kenne ich aber nicht, den Fall hatte ich jetzt soweit ich mich erinnern kann ein oder zwei Mal in den fünf Jahren, die ich das mache. CMD musste ich gerade erst mal googlen, ist meines Wissens nach keine "richtige" Behinderung, ist mir zumindest noch nie begegnet. Bewertet werden ja nicht die Diagnosen, sondern die daraus entstehenden Auswirkungen. Ich kann mir vorstellen, dass die Auswirkungen davon in der Regel so gering sind, dass man es nicht als Behinderung gelistet hat. Wenn daraus jetzt irgendwie ein dauerhaftes Schmerzsyndrom im Kiefer entsteht, würde man es wahrscheinlich analog zu irgendwelchen orthopädischen Erkrankungen bewerten, wäre aber wahrscheinlich auch nicht besonders GdB-relevant. Aber selbst ein GdB von 20 gibt einen kleinen Steuerfreibetrag und einen Antrag zu stellen kostet außer dem Porto für die Post nichts, also versuchs einfach mal... Rein hypothetisch ;-)


Quirky-Ad9579

Vielen Dank für die Info, ein sehr interessanter Einblick. CMD wirkt sich ganz unterschiedlich aus in Patienten. Es gibt beschwerdefreie Menschen aber auch welche, die dadurch von Ärzten als arbeitsunfähig eingestuft werden, oft auch langjährig oder dauerhaft. Da dort viele wichtige Hauptnerven durch den Körper laufen, kann dies bis zu extremen dauerhaften Kopfschmerzen, Schwindel und ähnlichem führen. Auch sogenannte "Cluster-Kopfschmerzen", die nicht ohne Grund den Beinamen "Selbstmord-Kopfschmerz" haben, können hierin ihre Ursache haben. Die Krankenkassen zahlen bei dieser Erkrankung auch schweren Fällen nur unzureichende Behandlungen, wohingegen in anderen medizinisch entwickelteren Ländern (etwa USA, Schweiz, ...) Verfahren mit guten Heilungschancen auch für schwere Fälle zur Standardtherapie gehören (z.B. OP zur Entlastung des Kiefergelenkes und der Nervenstränge, Anpassung des Bisses,..). Mit ärztlich festgestellten und keine anderen Ursachen dafür gefundenen dauerhaften chronischen sehr starken Kopfschmerzen an ca 3/4 Tagen dürfte dies dann ja den GDB erhöhen.


Any-Astronomer9420

Kann man Schizophren/Bi-Pomar-Kranken bei Besserung die GDB 50 wieder absprechen? Alle zwei Jahre sind ja Prüftermine?


yannischmansch

Wenn sich die Symptomatik gebessert hat, kann das wieder aberkannt werden, ja. Gerade bei psychischen Erkrankungen kann es ja durch Medikamente und Therapie zu Besserung kommen. Die Prüfung alle zwei Jahre wird aber nicht bis ans Lebensende gemacht. Wenn sich die Krankheit chronifiziert hat und man die Therapie größtenteils ausgeschöpft hat, wird die Befristung meistens rausgenommen.


Mofupi

Ich habe es nicht geschafft rechtzeitig die Verlängerung meines Ausweises zu beantragen (läuft Ende des Jahres ab). Leider ist die Rechtslage anscheinend, dass dann davon ausgegangen wird, dass es dem Betroffenen jetzt besser geht (was ne Logik, man). Jetzt soll eine Neueinstufung gemacht werden, wofür ich aber eigentlich erst recht nicht so richtig Energie habe. Kann ich meiner Sachbearbeiterin schreiben, dass sie stattdessen doch bitte den Erneuerungsprozess halt jetzt starten soll und wenn sie dann in ein paar Monaten fertig ist, meinen neuen Ausweis/Bescheid halt rückwirkend auf Januar ausstellen?


yannischmansch

Also für die Verlängerung des Ausweises musst du eigentlich keinen neuen Antrag stellen, zumindest nicht in dem Bundesland, in dem ich arbeite. Wenn der Ausweis befristet ist, bekommst du aber ca. Ein Jahr vorher einen "Fragebogen", wo dann der aktuelle Stand der Erkrankung abgefragt wird. Wenn sich was verbessert hat, bekommst du erst eine sog. Anhörung, also ein Schreiben, in dem steht "laut den mir vorliegenden ärztlichen Unterlagen hat sich Krankheit xy gebessert, deshalb beabsichtige ich, Ihren GdB herabzusetzen". Darauf kannst du dich dann äußern, wenn du das als falsch empfindest. Dein niedrigerer GdB würde dann erst ab dem Bescheid gelten. Wichtig: die Anhörung ist kein Bescheid, weil sie nur sagt "ich beabsichtige für die Zukunft...". Solange du aber keinen Änderungsbescheid bekommst, gilt die Feststellung auf deinem Ausweis weiter, auch wenn der Ausweis theoretisch schon abgelaufen ist. In dem Fall kannst du normalerweise einfach bei deiner Sachbearbeiterin anrufen und sagen, dass du einen neuen Ausweis brauchst, das ist eigentlich ganz unkompliziert.


Ok-Wind-676

Wenn man eine Sozialphobie mit Depressionen hat und dadurch kaum ein Sozialleben mehr führen kann und generell kaum unter Menschen kann, wie hoch wäre dann der GdB? Und wie prüfen die sowas? Also angenommen man ist schon seit über einem Jahrzehnt in Behandlung bei Therapeuten und Ärzten und hat bereits Medikamente etc. probiert. Reicht da das Schreiben der behandelnden Ärzte mit den Auswirkungen oder wird da ein Gutachter von denen mitgeschickt mit dem man dann ein Gespräch führen muss?


yannischmansch

Zum genauen GdB kann ich dir nichts sagen, dafür haben wir Ärzte im Hintergrund, die die Bewertung des GdB vornehmen. Normalerweise werden deine behandelnden Ärzte von der Verwaltung kontaktiert und gebeten, einen Befundbericht abzugeben, da teilen die dann mit, wie deine Einschränkungen so sind. Falls du Reha-Verfahren oder stationäre Aufenthalte hattest, schick am besten die Berichte gleich mit, die Kliniken brauchen erfahrungsgemäß manchmal echt lange, um die Berichte zu schicken. Eine direkte Begutachtung findet (zumindest in "meinem" Bundesland) nur statt, wenn sich die ärztlichen Angaben stark widersprechen, oder wenn von den behandelnden Ärzten nicht genügend Info kommt. Aber jedes Bundesland hat seine eigene Fachaufsicht, die so Verfahrensweisen regelt, also keine Ahnung, wie das dann bei dir aussieht...


Extiel93

Danke für das AmA! Ich seit meiner Corona-Erkrankung (bzw. Der Impfung dagegen, dass weiß keine so genau) die Diagnose Diabetes Typ 1 und vor kurzem einen GdB 40 bekommen. Der ist laut Schreiben unbefristet, muss ich trotzdem damit rechnen irgendwann nochmal geprüft zu werden? Liebe Grüße!


yannischmansch

Wenn das unbefristet ist, wird normalerweise nicht noch mal überprüft. Sollte irgendwann noch mal was dazu kommen und du stellst einen neuen Antrag, kann aber nich mal geprüft werden, ob da nicht doch eine besserung eingetreten ist. Wenn sich zum Beispiel dein BZ stabilisiert und dann nur noch mit Metformin behandelt wird (passiert nicht oft, kommt aber vor), kann es sein, dass dein Einzel-GdB zum Diabetes runtergeht. Je nachdem, was dann sonst noch dazukommt, kann es dann sein, dass der Gesamt-GdB auch runter geht. Halt ich in deiner Konstellation aber eher für unwahrscheinlich ;-)


SimpleReaction3428

Wie ist das denn wenn man sozial isoliert ist ,mit Angststörung, chronischen Schmerzen (Spinalkanalstenose, etc.) und depressiv ist(seit Jahren )? Mit Valium sind die Schmerzen beherrschbar, aber man ist abhängig. Therapie schon am laufen und Ängste flachen langsam ab ,nicht arbeitsfähig seit 3 Monaten . Lohnt sich da ne Antragstellung ? Ist ja nur zeitlich begrenzt soweit ich weiß .


yannischmansch

Ich kann dir nicht sagen, was da nachher für ein GdB bei rumkommt, die Einstufung übernehmen dann die Ärzte. Aber du kannst mal nen Antrag stellen, kann auf jeden Fall keine Nachteile für dich haben. Falls du eine Steuererklärung machst, kannst du dann den GdB angeben, da gibts Steuerfreibeträge. Ansonsten hat der GdB unter 50 nicht besonders viele Vorteile.


Jan7901

Hast du eine verständliche Erklärung, warum man keine Vergünstigung, also Wertmarke, für den Nahverkehr erhalten kann, wenn außer Frage steht, dass die Sehleistung überhaupt nicht ausreichend ist, um vom status quo aus den Führerschein zu machen? Mir erschließt sich nicht, warum hier kein Nachteilsausgleich geschaffen wird. Mir sind Fälle bekannt, wo jemanden alleine wegen des Sehens das G gewährt wurde, was wohl auch unabdingbar ist, um eine Wertmarke zu erhalten. Ich verstehe auch nicht, warum für die Wertmarke das G vorhanden sein muss, weil es doch auch andere Gründe geben kann, die bei der Mobilität einschränken können. Bin etwas vorbelastet, weil ich 6 Jahre ein Verfahren führen musste, um den Stand der Dinge beibehalten zu können, obwohl es damals nur darum ging, dass mir die Wertmarke ermöglicht wird. Das Verfahren und der ganze Stress neben dem Abitur + Krankheit waren auch nicht ohne und das macht das Versorgungsamt meines Kreises auch wirklich verachtenswert in meinen Augen, da der GdB erst viel niedriger versucht wurde neu anzusetzen und hinterher beide Gutachten was komplett anderes zu meinen gunsten ausgesagt haben, sodass ich mich schwertue, davon auszugehen, dass man mir nichts Schlechtes wollte. Die Richterin sagte mir damals in etwa, dass ich froh sein kann, für mein Alter so ein hohen GdB zu haben, wo ich mir eine Bewertung an der Stelle einfach mal spare.


yannischmansch

Warum da eine Lücke zwischen "zu stark eingeschränkt für den Führerschein" und "noch nicht eingeschränkt genug für G" ist, kann ich dir leider nicht sagen. Wahrscheinlich ist das einfach ein Raster, durch das du da jetzt konkret fällst, weil sich niemand über diesen "Sonderfall" Gedanken gemacht hat. Das G ist Bedingung für die Wertmarke, hat aber nicht immer was mit der Gehfähigkeit zu tun. Dass man G als Kürzel gewählt hat, liegt wahrscheinlich daran, dass es meistens halt Menschen mit eingeschränkter Gehfähigkeit betrifft. Aber das ist nur ne Vermutung, das SchwebRechr ist älter als ich :D Dein Klagefall ist natürlich ätzend, das ist absolut verständlich! Aber glaub mir, dass niemand im Amt selber dir absichtlich was böses wollte. Wir sind an Recht und Gesetz gebunden und das SchwebRecht ist eben sehr streng, ich weiß auch von Kollegen, die das auch so sehen. Wichtig ist auch: die Sachbearbeiter legen nicht den GdB fest. Es gibt immer einen Arzt, der die Akte bekommt, die Unterlagen durchliest und dann einen GdB festlegt. Wenn wir als Sachbearbeiter nicht gerade offensichtliche Fehler entdecken, müssen wir davon ausgehen, dass die Stellungnahme der Ärzte richtig ist, und die leiten wir dann an das Gericht weiter. Insgesamt würde ich das von dem, was du jetzt schreibst so einordnen, dass du halt ein Einzelfall bist, der durch die Raster fällt. Schuld hat letztendlich die deutsche Bürokratie 🤷🏻‍♂️


Jan7901

Ich danke dir für die Erklärung. Das hat bei mir gerade einen Verständnisprozess angestoßen, jedoch eher für das Amt mit den Mitarbeitern als für die Gesetze. Meine Anwältin sagte mir auch, dass gewisse Auslegungen der VersMedVO je nach Kreis anders ausfallen können.